21. November 2023
Die Bundeswehr in Afghanistan -
ein einziges Missverständnis?
Die letzte Veranstaltung des Aktionskreises für Wirtschaft, Politik und
Wissenschaft e.V. im Jahr 2023 widmete sich dem Thema Einsatz der Bundeswehr
in Afghanistan und ihrem Abzug. Dazu hatte der Vorsitzende Tobias Kurzmaier
den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses Afghanistan im Deutschen
Bundestag Dr. Ralf Stegner, MdB als Referenten eingeladen. Tobias Kurzmaier
führte zu Beginn der Veranstaltung mit Fakten in den Abend ein: Von 2001 bis
2021 war die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz. Mit Gesamtkosten von 17,3
Milliarden Euro wurde es der teuerste Auslandseinsatz in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland. 59 Bundeswehrsoldaten sind in Afghanistan
gefallen. Die Taliban, eine radikalislamistische Terrorgruppe, die seit 1984
in Afghanistan und Pakistan aktiv ist, hat am 15. August 2021 die
afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und die Macht im Land übernommen.
Zuvor waren die internationalen Truppen, die 20 Jahre lang in Afghanistan
stationiert waren, abgezogen worden. Der Deutsche Bundestag hat im Juli 2022
einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich mit den Geschehnissen im
Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehrtruppen aus Afghanistan und der
Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer Personen im
Zeitraum Februar 2020 bis September 2021 befasst. Ziel ist ein Gesamtbild zu
Erkenntnissen, Entscheidungsverhalten und Handeln der Bundesregierung und
beteiligter Bundesbehörden und Nachrichtendienste, auch im Zusammenwirken
mit ausländischen Akteuren. Dem Ausschuss gehören zwölf ordentliche
Mitglieder sowie deren Stellvertreterinnen und Stellvertreter von den im
Bundestag sieben vertretenen Parteien an.
Bevor der Ausschussvorsitzende Dr. Stegner das Wort ergriffen hat, zeigte
Vorsitzender Kurzmaier den anwesenden Mitglieder einen rund zehnminütigen
Ausschnitt eines Gesprächs, das er mit General a.D. David Petraeus im August
2022 ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban führen konnte. Für den
AKWPW war das ein besonderer Moment, den ehemaligen Vier-Sterne-General,
CIA-Direktor und Kommandeur der US Forces Afghanistan sowie der ISAF
(International Security Assistance Force) in Afghanistan aus seinem
Arbeitszimmer in Arlington/Virginia (USA) im Konferenzsaal des Bayerischen
Landtags zugeschaltet zu sehen. Die Kernbotschaft des General a.D. lautete:
"I would not have withdrawn." ("Ich wäre nicht abgezogen.")
Dr. Stegner beschrieb in seinen Ausführungen den Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan als den in ihrer Geschichte längsten, teuersten und
schlechtesten. Eine der Hauptaufgaben des Untersuchungsausschusses, den er
leitet, sei die Untersuchung der Fehler, die beim Abzug gemacht wurden und,
welche Lehren daraus gezogen werden können. Er verwies darauf, dass nicht
viele Parlamente einen Untersuchungsausschuss Afghanistan eingesetzt haben.
Deutschland tut das, die Niederlande ebenso. Der Zeitraum, mit dem sich der
Untersuchungsausschuss befasst, geht vom Doha-Abkommen im Februar 2020 bis
zum Abzug im August 2021. Dr. Stegner verwies darauf, dass die Zeugen, die
im Untersuchungsausschuss aufgerufen werden, so etwa 2024 Bundeskanzlerin
a.D. Dr. Angela Merkel, Bundesminister a.D. Heiko Maas und Bundesminister
a.D. Horst Seehofer unter Wahrheitspflicht aussagen müssen und, dass die
Herstellung der Öffentlichkeit des Untersuchungsausschusses Verfassungsrang
hat. Das Ergebnis des 20-jährigen Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ist Dr.
Stegner zufolge fatal: Die Gesamtkosten von 17,3 Milliarden Euro sind höher
als die Gesamtkosten des Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten
Weltkrieg. Das große Ziel des sogenannten "State Building" ist laut Dr.
Stegner absolut gescheitert. Mit dem Abzug der US-Truppen war das Schicksal
Afghanistans, ein Land im Dauerkrieg mit zehntausenden zivilen Opfern,
besiegelt, so der UA-Vorsitzende: "Das Resultat war klar, wenn die USA
abziehen. Die USA hatten eigentlich nur noch Interesse am Irak, aber nicht
mehr an Afghanistan. Die NATO hat nicht gut zusammengearbeitet und im
Gegensatz zum afghanischen Staat haben die Taliban ihre Soldatem bezahlt.
Darum konnte die Einnahme von Kabul auch so rasch erfolgen."
Laut Dr. Stegner werde man im Untersuchungsausschuss, der seine Arbeit
innerhalb dieser Legislaturperiode beenden soll, ganz genau hinterfragen,
welche Rollen das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium der Verteidigung, das
Bundeskanzleramt, der BND etc. beim Abzug der Bundeswehr gespielt haben,
v.a. auch bei der Evakuierung von Ortskräften. Viele von denen hat
Deutschland im Stich gelassen, so Dr. Stegner. Perspektivisch forderte der
SPD-Politiker, dass der Ruf Deutschlands in der Welt wieder verlässlicher
werden muss: "Wir müssen einsehen, dass unsere wertegeleitete Außenpolitik
nicht funktioniert hat. Es braucht vielmehr eine interessenbezogene,
programmatische Außenpolitik und das bedeutet auch, dass wir mit den Taliban
reden müssen. Die Chinesen tun das im Übrigen schon länger."
Wie immer, wenn der AKWPW tagt, ist der Konferenzsaal im Bayerischen Landtag
gut gefüllt.
v.l.n.r.: Helmut Six (Beirat), Hans-Georg Augustinowski (Schatzmeister), Dr.
Ralf Stegner, MdB, Tobias Kurzmaier (Vorsitzender), Andreas Goppel (Beirat),
Hermann Harbeck (Beirat), Lothar Gschwenter (Beirat)